Donnerstag, 17. Dezember 2015

Fortrückschritt

Es gibt wohl kaum etwas Interessanteres, Nervigeres und Lustigeres als der öffentliche Verkehr, beziehungsweise was man im öffentlichen Verkehr so alles mitbekommt.
Ich als momentane Pendlerin bin fasziniert davon, dass man sich zum Beispiel schon total an einige Leute gewöhnt, obwohl man sie gar nicht kennt, ganz einfach, weil man sie jeden Tag sieht. Da ist dieser ältere Herr, der jedesmal noch eine Zigarette raucht, bevor er in den Zug einsteigt. Dann gibt es einen jungen Arbeiter, der immer recht knapp am Bahnhof ankommt, im Zug zuerst sein Handy checkt, dann die Kopfhörer hervorholt und Musik hört. Oder die Frau, die jeden Morgen mit ihrem Kinderwagen in den völlig überfüllten Zug einsteigt.
Doch etwas vom Interessantesten sind die Gespräche. Gerade letztens wurde ich Zeugin eines Gespräches, das mich eigentlich sehr zum Nachdenken gebracht hat.
Auf meiner Strecke hat es letztens neue Züge gegeben, wobei diese nicht nigelnagelneu sind, wie man bemerken muss, sondern einfach andere als die alten. Ich sass im gleichen Abteil mit einem älteren Herrn und einem Mann den ich so um die 50 schätzen würde. Die beiden führten ein Gespräch, doch der ältere Mann beschränkte sich eher darauf, zu nicken und nachzufragen, während der jüngere redete und redete und redete.
"Diese neuen Züge sind schon nichts wert, ich verstehe nicht warum man immer neue Dinge braucht!" Das war seine erste Aussage, zu der ich mir aber noch keine Meinung bilden konnte, da ich die Züge noch nicht so gut kenne. "Der grösste Mist sind diese Gepäckablagen aus Glas, wenn das mal scherbelt..." Ich warf einen Blick über die Köpfe der Männer, wo die besagte Gepäckablage hing. Eins zu null für den Mann, damit hatte er völlig recht. Glas war eine dumme Idee. "Und dann die Abfalleimer, zwischen den Sitzen. Nicht mehr dort wie immer!" Grundsätzlich stimmte das, aber wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat oder den Abfalleimer erst mal gefunden hat, dann findet man es bestimmt viel besser, wenn man nicht immer über die Beine der anderen fassen muss, um einen Kaugummi wegzuwerfen. "Und die Steckdose, unter dem Fenster! Das ist doch vollkommener Schwachsinn! Wieso montiert man die dort und nicht oben?" Na ja, ist doch ganz klar. Wer mag schon Kabelsalate über seinem Kopf und vor seinem Gesicht?
Dann holte der Mann zu seinem letzten Schlag aus. "Nichts haben die sich dabei überlegt! Immer dieser Fortschritt! Ich habe das Gefühl, das ist gar kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt. Wer weiss, wie das in 20 Jahren mal aussieht..."
Und genau dieser Satz brachte mich zum Nachdenken. Ich bin sicher, hinter der Entwerfung dieses Zuges haben viele kluge Köpfe gesessen, welche sich viel dabei überlegt haben und jedes Detail logisch begründen können. Nur wissen wir das halt nicht. Aber kann die Welt wirklich nur aus Fortschritt bestehen? Man kann doch nicht immer nur alles besser machen, manchmal wird es doch auch schlechter? Es braucht doch auch Rückschritte, um wieder ein Stück vorwärts zu kommen?

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